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Warendorf (fn-press).
HWSD; WFFS, PSSM: Hinter all den kryptischen Abkürzungen verbergen
sich Krankheiten, denen Gendefekte beim Pferd zugrunde liegen.
Dank intensiver Forschung gelingt es, immer mehr solcher Genvarianten
zu entschlüsseln. Jüngst in die Diskussion geraten ist die Polysaccharid
Speicher Myopathie (PSSM) die sowohl als Typ 1 und Typ 2 auftreten
kann. Was sich dahinter verbirgt, darüber sprach FN-aktuell mit
Professor Dr. Jens Tetens, promovierter Tierarzt und Professor
sowie Leiter der Abteilung Genetik und züchterische Verbesserung
funktionaler Merkmale an der Universität Göttingen.
FN-aktuell: Die Zuchtverbände haben im letzten Jahr zusammen mit
Ihnen das Projekt "Genetische Untersuchungen zum Vorkommen von
Polysaccharid Speicher Myopathie (PSSM) Typ 1" initiiert. Was
ist PSSM1 und wie tritt sie in Erscheinung?
Prof. Jens Tetens: PSSM1 ist eine Glykogenspeicherkrankheit, die
auf einer Mutation des GYS1-Gens beruht. (Anm: Bei Glykogen handelt
es sich um eine Form von Kohlenhydraten, die der Körper in den
Muskeln speichern kann, um Energiereserven bereitzustellen). Bei
Vorliegen der Mutation wird - vereinfacht gesagt – zu viel Glykogen
produziert. Die Folge ist eine überhöhte und abnorme Speicherung
im Muskel, was die Muskelfasern schädigt und zu einer Erkrankung
der Skelettmuskulatur (Myopathie) führt. Hat sich sehr viel Glykogen
in der Muskulatur angesammelt, kann das bei körperlicher Belastung
eines Pferdes zu den klassischen Symptomen des Kreuzverschlages
führen. Dabei gehen dann Muskelzellen zu Grunde, was zu einer
typischen Braunfärbung des Urins führt, weil der Muskelfarbstoff
frei gesetzt wird. Tatsächlich haben wir es bei PSSM1 aber mit
einem breiten und vielfältigen Symptomkomplex zu tun, den man
allgemein als ‚Belastungsintoleranz‘ umschreiben könnte.
FN-aktuell: Gibt es schon Ergebnisse zu diesem Projekt?
Prof. Tetens: Ja, es liegen bereits Ergebnisse vor und wir werden
das Ganze sicher in Kürze publizieren. Ich denke, man kann die
Studie als Erfolg bezeichnen. In Zusammenarbeit mit dem Labor
Laboklin haben wir fast 400 Pferde auf die Mutation getestet und
die Zuchtverbände haben weitere Testergebnisse zur Verfügung gestellt,
so dass letztlich etwa Ergebnisse von 800 Pferden in die Studie
einfließen konnten. Ein zentrales Ergebnis ist die Häufigkeit
in den untersuchten Rassen. Wir haben auch eine Befragung bei
den Besitzern durchgeführt, die in der Vergangenheit Proben zur
Untersuchung an Laboklin gesendet haben. Dabei war das Bild nicht
ganz so klar, was im Wesentlichen mit der offenen Fragestellung
und teils subjektiven Beschreibung von Symptomen zusammenhängen
dürfte. Man kann aber sagen, dass es einen Zusammenhang zwischen
PSSM-Status und dem Auftreten klinischer Symptome gibt. Die Symptome
sind teils rassespezifisch, das Leitsymptom schlechthin scheint
es nicht zu geben. Beim Kaltblut noch am ehesten „typisch“ sind
Bewegungsunlust, Wetterfühligkeit, Muskelzittern und Schwitzen.
Wir haben auch nach Maßnahmen gefragt, die bei betroffenen Tieren
ergriffen werden. Oft wurde eine Umstellung der Fütterung genannt,
was sicher auch anzuraten ist. Die Maßnahmen waren aber sehr unterschiedlich
und es hat sich kein klares Bild ergeben. Aber wie gesagt, Details
zu der Umfrage bei den Züchtern werden wir sicher bald veröffentlichen.
FN-aktuell: Dieses Projekt wurde anhand von Untersuchungsdaten
von Kaltblutpferden und Haflingern beziehungsweise Edelbluthaflinger
durchgeführt. Gibt es Unterschiede zwischen den Rassen und zu
anderen Rassen?
Prof. Tetens: Ja, die gibt es. Zum einen, was die Häufigkeit angeht,
und zum anderen auch im klinischen Erscheinungsbild. In unserer
Studie haben wir bei den Haflingern und Edelbluthaflingern nur
etwa ein Zehntel positiver Tiere und bei Schwarzwäldern und Süddeutschen
Kaltblütern etwa ein Fünftel gefunden. Beim Rheinisch-Deutschen
Kaltblut waren es sogar etwa zwei Drittel. Da sind wir uns allerdings
nicht ganz sicher, ob die Einsendungen möglicherweise nicht repräsentativ
waren. Das gehäufte Auftreten gerade bei Kaltblütern lässt sich
aber auch damit erklären, dass der erhöhte Glykogenspiegel früher
einen Vorteil für die schwer arbeitenden Tiere geboten hat. Heute
ist dieser Segen ein Stück weit zum Fluch geworden. Allerdings
scheint es auch so zu sein, dass PSSM1 bei den Kaltblütern insgesamt
milder verläuft. Das lässt sich beispielsweise auch an den Gründen
für die Einsendung einer Probe ablesen. Bei den Haflingern und
Edelbluthaflingern war es eher so, dass klinische Symptome zur
Untersuchung geführt haben. Bei den Kaltblütern scheinen die Untersuchungen
eher routinemäßig vorgenommen zu werden. Das heißt aber nicht,
dass nicht auch da schwerere klinische Verläufe zu beobachten
sind.
FN-aktuell: Nun ist PSSM2 auch ein aktuelles Thema im Kreis der
Züchter – welche Unterschiede bestehen zu PSSM1?
Prof. Tetens: Ich denke, da lohnt es sich ein bisschen weiter
auszuholen. Es gibt Pferde, bei denen eine abnorme Speicherung
von Glykogen vorliegt und die dann auch Symptome zeigen, die aber
PSSM1-negativ sind. Hier spricht man in Abgrenzung zu PSSM1 von
PSSM2. Und dann gibt es auch noch Pferde, die weder eine abnormale
Glykogenspeicherung noch eine Mutation aufweisen und dennoch Symptome
zeigen. Das Ganze kann man dann als idiopathisch bezeichnen: ohne
erkennbaren Grund. Zusätzlich gibt es den Begriff der Myofibrillären
Myopathie (MFM). Dabei verursachen charakteristische strukturelle
Veränderungen der Muskelfasern die Symptome. Eine klare Abgrenzung
zu einer Störung der Glykogenspeicherung ist aber schwierig, weshalb
auch das oft unter PSSM2 subsummiert wird.
Der entscheidende Punkt ist also, dass PSSM2 nicht eindeutig einem
Gen zugeordnet werden kann. Das klinische Bild der Belastungsmyopathie
in all seinen Facetten ist vielmehr ein komplexes Merkmal, das
von einer ganzen Reihe von Genen beeinflusst wird. Jedes davon
erklärt nur einen kleinen Teil. Das was heute vermutlich gemeinhin
unter PSSM2 verstanden wird, bezieht sich auf die in dem kommerziell
angebotenen PSSM2-Gentest enthaltenen sechs Varianten. Wenn man
so will, gibt es die eine PSSM2 nicht.
FN-aktuell:
Sollten die Züchter vor der Zuchtnutzung der Pferde einen Gentest
für PSSM1 und/oder PSSM2 durchführen?
Prof. Tetens: Dazu muss man erstmal sagen, dass PSSM1 beispielsweise
bei Kaltblutpferden und Quarter Horses die dominierende genetische
Ursache für Belastungsmyopathien ist. Man hat es hier also quasi
mit einem Defekt zu tun, der auf einem einzigen fehlerhaften Gen
beruht. Die Ergebnisse lassen sich gut interpretieren und der
Bezug zur klinischen Symptomatik und zum histologischen Befund
ist wissenschaftlich belegt. Ein PSSM1-Test ist daher vor der
Zuchtnutzung zu empfehlen.
PSSM2 beziehungsweise das Spektrum, das sich dahinter verbirgt,
ist eher der dominierende Faktor beim Warmblut oder bei arabischen
Pferden. Bei diesem Testpanel sieht es unklarer aus. Ich kenne
keine wissenschaftliche Veröffentlichung, welche die Effekte der
einzelnen Allele belegen würde. Zum Teil wurden nicht einmal die
konkreten Gene beziehungsweise Genvarianten öffentlich zugänglich
gemacht. Eine im vergangenen Jahr veröffentlichen Studie aus den
USA kam zu dem Ergebnis, dass kein Zusammenhang zwischen dem Testergebnis
und der Untersuchung von Gewebeproben erkrankter Pferde nachgewiesen
werden kann. Gleichzeitig trugen mehr als ein Drittel der dort
untersuchten Warmblutpferde, und zwar auch der gesunden Kontrollgruppe,
mindestens eine Genvariante. Dies ist besonders relevant vor dem
Hintergrund, dass ein sehr breites Spektrum teils auch unspezifischer
Symptome dem PSSM2-Komplex zugeschrieben wird. Es ist also kein
einfaches Unterfangen, einen belastbaren Zusammenhang zwischen
dem äußerlichen Krankheitsbild und dem Testergebnis herzustellen
– es kann einfach auch Zufall sein. Solange dazu keine belastbaren
Daten veröffentlicht wurden, kann man aus meiner Sicht nicht allgemeingültig
zu diesem Test auf PSSM2 raten.
Ich würde empfehlen, ein groß angelegtes Forschungsprojekt durchzuführen,
bei dem sehr viele Pferde in der Population untersucht und idealerweise
auch genotypisiert werden. Man sollte erstmal die Grundlagen klären
– völlig unabhängig vom bisherigen Gentest. Einfach mal so in
den Raum geworfen: Ziel könnte ein genomischer Myopathie-Zuchtwert
sein. Das größte Problem wird dabei allerdings eine aussagekräftige
Datenerfassung sein.
FN-aktuell: In manchen Zuchtprogrammen sind bereits verpflichtende
Gentests auf PSSM1 vorgeschrieben – sollten die Pferde, die Anlageträger
für PSSM1 sind, aus der Zucht ausgeschlossen werden?
Prof. Tetens: Nein. Das ließe sich ja auch beispielsweise bei
den hohen Frequenzen bei Kaltblutrassen gar nicht realisieren.
Man sollte natürlich nicht zwei heterozygote Anlagenträger miteinander
verpaaren, also solche, die die Anlage nur auf einem Allel tragen,
damit keine homozygoten Tiere entstehen, die das Allel zweimal
tragen.. Solche Pferde sind natürlich stärker betroffen. Das sieht
man klar sowohl bei der Gewebe- als auch der klinischen Untersuchung.
Anders als bei den rezessiven Erbfehlern, zum Beispiel bei WFFS
(Warmblood Fragile Foal Syndrome), können auch einfache Anlagenträger
von den Krankheitssymptomen betroffen sein. Es sollte also schon
einen Selektionsdruck gegen PSSM1 geben. Und letztlich ist das
Testergebnis natürlich nicht nur züchterisch relevant, es sollte
auch schon vorbeugend bei Haltung und Fütterung berücksichtigt
werden.
Mehr dazu
Forschung, aktueller Stand: Fortschritte bei der Aufklärung von
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